Torsten Dederichs

Stonehenge
Photo by Brooke Bell on Unsplash, rendered by Torsten Dederichs

Wow, was für eine kühne Forderung! Ist es nicht ein großes Geschenk, in einem zivilisierten Zeitalter zu leben? Ja, natürlich ist es das. Unsere Häuser sind gemütlich und warm, Lebensmittel können einfach im Supermarkt eingekauft werden und die meisten unserer Jobs sind nicht mehr gefährlich. Zumindest im Vergleich zur Jagd auf Mammuts oder Hirsche. Und doch gibt es etwas, in dem unsere Vorfahren so viel besser waren als wir. Neugierig?

Sie benutzten ein geniales und unübertroffenes Mittel, um ihre Arbeitssicherheit zu verbessern: Geschichtenerzählen. Denken Sie nur daran, was Menschen auch heute noch am Lagerfeuer tun: Sie erzählen sich Geschichten! Das verkürzt die Nacht, stärkte das Gemeinschaftsgefühl und weitet den Horizont. Und genau das taten auch schon unsere Vorfahren. Womit sonst sollten sie ihre Abende verbringen? Das Schreiben war noch nicht erfunden, und so schied das lesen von Büchern aus. Und so verbreiteten unsere Vorfahren ihr Wissen durch das Erzählen von Geschichten. Und was für spannende Themen das waren: wie man das Lagerfeuer am Brennen hält. Wie man ein Rad baut. Wann man sät? Woran man erkennt, ob es Hochsommer ist. Und natürlich auch: wie man sicher ein Mammut jagt.

Das gesamte Wissen der Menschheit wurde über Jahrtausende hinweg nur erzählt!

Erst sehr viel später, eigentlich noch gar nicht so lange her, wurden wir rationaler und schlauer, dachten wir. Wir fanden, Geschichten sind nett für den Zeitvertreib. Was wir aber wirklich brauchen, sind Berichte und Statistiken: Wir begannen also zu zählen, über unser Leben und natürlich auch über unsere Bemühungen, sichere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Wir fingen an, ausgeklügelte Dokumente zu erstellen, in denen wir unsere Ursachen-Untersuchungen aufzeichneten. Wir listeten detailliert auf, welche Faktoren zu einem Unfall beigetragen haben, welche Schutzausrüstung vorhanden war und welche nicht. Wir notierten die Wetterbedingungen, selbst wenn ein Sicherheitsvorfall in einem Gebäude stattfand (die Schuhe könnten nass gewesen sein).

Anfangs half diese Methodik in der Sicherheitsberichterstattung die Sicherheit auch zu verbessern. Vor allem systematische Ursachen wie fehlende Schutzvorrichtungen oder mangelhafte Prozesse wurden ermittelt und korrigiert. Standards wurden aufgestellt und durchlaufen seither den Plan-Do-Check-Act-Kreislauf. Auch wenn die Sicherheitskennzahlen in die richtige Richtung wiesen: Sie sanken nicht auf null. Es blieb ein Residuum, und zwar welche einer ganz besonderer Art: Die meisten heutigen Unfälle beruhen auf Verhaltensfehlern.

Berichte sind gut, um die Sicherheitsbemühungen zu strukturieren und die ersten 80 % zu erreichen. Und dafür sind sie sogar großartig. Aber die Pareto-Verteilung sagt uns: Jetzt wird es schwierig, denn nun zielen wir auf den letzten 20 %. Wir stoßen an die Grenzen der Berichterstattung. Denn mit der Verwendung von Berichten haben wir den Schlüssel für einen effektiven Wissensaustausch gerade mit den Arbeitern vor Ort verloren. Wir haben die Empathie verloren.

Aber warum ist das Einfühlungsvermögen so wichtig, wenn man Verhaltensweisen ändern will? Überlegen Sie mal, wann ändern Sie Ihr Verhalten? Immer dann, wenn Sie die Erfahrung gemacht haben, dass ihre Vorgehensweise ungesund ist. Wenn Sie eine heiße Herdplatte angefasst haben, werden Sie beim nächsten Mal vorsichtig sein. Sie haben Ihre Erfahrung gemacht. Gott sei Dank zeigt die Wissenschaft, dass wir nicht alle möglichen Erfahrungen selbst machen müssen. Auch einfühlsame Geschichten werden von unserem Gehirn wie eigene Erfahrungen aufgenommen, verarbeitet und gespeichert. Das erspart uns, dass wir eine sehr schmerzhafte Lernkurve durchlaufen müssen. Und deshalb ist Storytelling auch für die Erhöhung der Arbeitssicherheit unerlässlich.

Um einen Eindruck davon zu vermitteln, soll ein kurzes Beispiel diese These untermauern. Nachfolgend ein Umstand, der einmal berichtet und einmal erzählt wird. Fühlen Sie in sich hinein und beurteilen Sie sich selbst:

Der König stirbt.
Die Königin stirbt.

Das war der Bericht, jetzt die Geschichte:

Der König stirbt. Die Königin stirbt vor Kummer.

Seien Sie ehrlich: Selbst wenn Sie dasselbe erzählen, berührt Sie die Geschichte. Der Bericht nicht. Und darüber hinaus: Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass Sie dieses Beispiel nicht vergessen werden und möglicherweise Geschichten in Ihrem geschäftlichen Kontext ein wenig mehr berücksichtigen werden. So wie ich es tue.